Gemeinsam die Stimme erheben

Am morgigen Sonntag verabschiedet sich Anne Tübinger nach 37 Jahren von ihrem Bloch-Chor – mit dem Programm „Noch und noch nicht fertig werden“ im Landestheater. - Schwäbisches Tagblatt

„Vor dem Gesetz …sind wir alle gleich.“ [...] der Bloch-Chor probt. Das Grundgesetz als Chorsatz. Die Worte „Vor dem Gesetz!“ werden gesprochen, schroff und nüchtern, [...] Die Fortsetzung „sind wir alle gleich“ tanzt bei aller Gleichheit individualistisch nach allen Seiten weg. Dann stimmt der Männerchor einen geradezu hochheiligen Hymnus an: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung…“ „Ja, das ist schon sehr edel! Es darf aber noch mehr aufblühen“, kommentiert Anne Tübinger.

[...] Man kann es sich noch überhaupt nicht vorstellen: Anne Tübinger gibt die musikalische Leitung des Bloch-Chors ab. Eine Ära geht zu Ende. Zu ihrem Abschied singt der Chor ein Programm mit Chor-Kompositionen von Anne Tübinger aus vier Jahrzehnten. Eine musikalische Biografie, ein Panorama der Chorgeschichte, auch ein Spiegel der deutschen und der globalen Politik und Zeitgeschichte [...] Handgeschriebene Noten, ein eigener Liederstil: kritisch, parodistisch, auch augenzwinkernd selbstironisch. Ein praktischer, im Leben stehender Umgang mit Musik.

In 37 Jahren Chorgeschichte sind zehn umfangreiche, abendfüllende Programme entstanden [...] Stuttgart 21, Amnesty international, Benefizkonzerte für die Aidshilfe [...]

Anne Tübinger rief den Bloch-Chor 1987 ins Leben. [...] Als Namenspatron entschied sich Anne Tübinger für Ernst Bloch – auch wegen Blochs Beziehung zur Musik. Seine Witwe Karola Bloch gab ihre Zustimmung.

Anne Tübingers Vision: Musik und Gesellschaftskritik zusammenbringen, Stellung beziehen. [...]

Der Bloch-Chor ist seinen basisdemokratischen Prinzipien immer treu geblieben. [...] Über die Beteiligung an Projekten wird genauso diskutiert und gemeinsam entschieden wie über jedes einzelne Stück im Programm,[...] Gelebte Chorgemeinschaft, ein offener Umgang mit Konflikten, das Aushalten von Differenz,[...] Positionen, die respektvoll und selbstkritisch reflektiert werden.[...]

„Gemeinsam an den Krisen unserer Zeit verzweifeln, aber auch gemeinsam Hoffnung bewahren [...] Anne hat die Gabe, jede Person zu integrieren. [...]“ „Und sie hat eine sensationelle Bühnenpräsenz“[...]

Die Reisen ins südfranzösische Auvillar. Oder der Auftritt in der Berliner Volksbühne – und plötzlich sitzt da Blochs Sohn Jan Robert im Publikum! [...]

Zunehmend wollte Anne Tübinger „nicht mehr gegen etwas singen, sondern für etwas.“ [...]

[...] die musikalischen Mittel haben sich seit dem politischen Liedermacher-Stil der 1970er-, 1980er-Jahre verändert. Anne Tübingers Nachfolger – der Pianist und Komponist Johannes Söllner [...] – wird den Bloch-Chor ein Stück weit wohl auch neu erfinden müssen.

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Achim Stricker, Schwäbisches Tagblatt 18.11.2023

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