Wo man singet, lass Dich ruhig nieder
Tagblatt-Übrigens von Uli Eisele
Es ist ein altmodisches Vergnügen, eines, das seit Joseph Eberles Gedicht vom „Gsangverei" Spott herausfordert. Ja, ich gestehe: Ich singe. Nicht allein, in der Badewanne, sondern in einem Chor. Jeden Montagabend gehe ich in die Probe. Diese zwei Stunden sind mir heilig. Ich versuche, sie nach Möglichkeit von beruflichen Terminen frei zu halten. Wenn ich dennoch zu spät komme, schleiche ich mit schlechtem Gewissen in meine Ecke und trachte, mich, von der Dirigentin unbemerkt, in den Gesang hineinzumogeln.
Beim Einsingen schütteln wir den gesamten Körper und damit den Ärger und die Sorgen des Tages von uns. Mit lang gezogenen Tönen durchmessen wir den Raum, a - e - i - o - u, werfen uns schrille „miao"-Laute zu wie Bälle. Dabei spüre ich, wie ich mit dem Chor verschmelze; wie meine Stimme in der Vielzahl anderer Stimmen aufgeht und (bestenfalls) Teil eines einzigen, vielstimmigen Gleichklangs aus fünfzig Kehlen wird, die zusammen etwas Neues, Einzigartiges bilden: ein lebendes Instrument.
Ich muss dabei immer wieder an die Schlussszene des schwedischen Films „Wie im Himmel" denken, in der die Chormitglieder aus der Not, ohne Dirigent vor Publikum zu stehen, jede/r einen eigenen Ton anstimmen. Dieses Tönen schwillt zum Brausen an, in das schließlich alle Zuschauer mit einstimmen.
„Der Ton spricht aus, was im Menschen noch stumm ist", schrieb Ernst Bloch im Prinzip Hoffnung und deutet damit in eine Eberles Spottversen entgegengesetzte Richtung: Während sich der Rottenburger Dichter über zitternde Schnauzbärte, wackelnde Bäuche und durstige Sängerkehlen lustig macht, weist Bloch auf die Möglichkeit hin, sich seiner unbedachten Regungen in der Musik inne zu werden. Ob Gesang revolutionär oder reaktionär ist, darüber ließe sich vermutlich lange und gelehrt streiten. Sicher ist, dass sich in der deutschen Geschichte Beispiele für beide Ansichten finden lassen. „Wo man singet, lass dich ruhig niederschlagen, böse Menschen dulden keine Zwischenfragen", lautet eine Persiflage auf die bekannten Zeile des Dichters Johann Gottlieb Seume.
Kürzlich machte mich eine Mitsängerin auf eine weitere Literaturstelle über den Chorgesang aufmerksam. In Muriel Barberys Roman „Die Eleganz des Igels" heißt es über dieses „Wunder", das alle Sorgen, Hass, Missgeschicke, Vulgaritäten zudeckt: „Der Lauf des Lebens geht im Gesang unter, auf einmal entsteht ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, von tiefer Solidarität, sogar von Liebe, und die Hässlichkeit des Alltags löst sich in dieser vollkommenen Übereinstimmung auf."
Wer selbst in einem Chor singt, wird jetzt vielleicht zustimmen. Wer Lust bekommen hat, es selbst einmal auszuprobieren, kann ja mal zur Chorprobe vorbei kommen: immer montags, 20 Uhr, Hechinger-Eck-Schule.
ULRICH EISELE
Dr Gsangverei'
Taufe, Haohzich oder Leich -
wa ma' feiret, sell ist gleich,
d Hauptsach ist ond bleibt debei
neabem Pfarr dr Gsangverei'!
Becke, Metzger, Schuaster, Schneider,
dicke Wiit ond Hongerleider,
Apotheker ond Kanditer,
Leichesäger, Haohzichbitter,
Küafer, Ipser, Kemmigfeager,
Feadrefuchser, Heiligepfleager,
Stadtakziser, Fleischbeschauer,
Kupferschmied ond Feilehauer,
Wengeter ond Kappemacher,
jonge Spritzer, alte Kracher,
alles ist em Gsangverei' -
so muaß sei'!
D Hauptsach aber konnt am End:
ao dr schö'gst Verei', wa war r
aohne reachte' Dirigent,
aohne de' Herr Lehrer?
So e Ma' konnt et zom Gruabe',
dear ist überlengt s ganz Johr:
tagsüb haut r d Schulerbuabe',
obneds hot r Kirchechor,
Gsangverei' ond Geigestonda',
sonntigs orgle' en de Kerch -
narr des Gschäft macht ao en Gsonde'
rabiat ond überzwerch.
Älle standet uf me' Haufe',
jeder huastet nohmal gschwend,
aber wenn dr Dirigent
mit em Taktstock s Zeiche' geit,
guck, noh traut se koar maih z schnaufe'-
passet uf, iatz isch soweit:
Wia fahret dia Mäuler sperrangelweit uf,
wia juzget dia Manne' ond kommet et nuf!
Vo' onne' ruf brommlet wia aus me' Faß
ganz tiaf ond hohl e Bierbrauersbaß.
Dr Dirigent ist ganz verboge',
es platzt em schier sei' Brotesrock,
r schleglet mit de Eleboge’
ond fuchtlet mit seim Stock.
Iatz leget se laos, iatz ist enes gleich:
wia zittret dia Schnauzbärt, wia wacklet dia Bauch!
Se senget so schö' ond se senget so laut,
se senget vom Rehlein ond »Wers uns getraut«
ond machet ganz spitzige Mäule’;
se klagnet, se häbe koa' Schätzele maih,
ond s wuud ene' selber ganz wend ond waih
ond am liabste' tätet se heule' ...
So e' Gsang goht oam ufs Gmüat.
Aber was ist s End vom Liad?
Daß se duustig send ond müad.
Dorom täts em Gsangverei'
deane Manne et so gfalle',
käm et noh dehennedrei',
ällemol e Balle'.
(Sebastian Blau)
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