Musikalische Jagdszenen
Samstag, 14. Juli 1990 20:00 Uhr
"Horch, wer tritt die Türe ein? Wird wohl eine Razzia sein. Das ist der Jäger aus Kurpfalz, der schießt dir Blei in den Hals. Wie'n Affe rast er durch den Wald und macht am End’ dich kalt."
Daß nicht nur Rehlein und Hirschlein auf grüner Heid’, dazu das jagende Jägerlein als romantisierende Jagdbilder möglich sind, sondern weitaus alltäglicheres Jagen und Gejagtwerden zu besingen ist, das wollen wir mit dem Beitrag des Tübinger Ernst-Bloch-Chores zum Thema "Musik und Jägerei" am Samstagabend in Mauren deutlich machen.
Ernst Bloch - hat der denn auch gesungen, ist eine des öfteren wiederkehrende Frage, wenn der Name des Ernst-Bloch-Chores fällt. Naja, gesungen hat er zwar auch, aber das war freilich nicht der Grund, uns für den Namen des großen Philosophen zu entscheiden. Vielmehr wollen wir die Erinnerung an einen Menschen wachhalten, den wir als Verfechter eines aufrechten Ganges der noch Unterdrückten und Beleidigten schätzen. Die unauflösbare Beziehung zwischen dem Traum von einer besseren Welt und der bestehenden Wirklichkeit, wie sie in Blochs zentralen Begriffen der konkreten Utopie und der belehrten Hoffnung zum Ausdruck kommt, wollen wir in kritischer Auseinandersetzung für die Chorarbeit musikalisch-poetisch nutzbar machen. Nach Bloch ist es zunächst die "Gefühls- und Zielwelt der jeweils herrschenden Klasse, die in Musik sich jeweils expressiv macht". Zugleich ist sie jedoch "kraft ihrer so unmittelbar menschlichen Ausdrucksfähigkeit" mehr als andere Künste in der Lage, "das zahlreiche Leid, die Wünsche und Lichtpunkte der unterdrückten Klasse aufzunehmen. Und keine Kunst hat wieder so viel Überschuß über die jeweilige Zeit und Ideologie, worin sie steht".
So sieht es der Chor als seine Aufgabe an, einerseits aus überliefertem Liedgut solche Chorwerke aufzugreifen, die die Sorgen und Nöte, Hoffnungen und Utopien der Unterdrückten zum Ausdruck bringen, andererseits mit neuen Werken und Kompositionen auf die drängenden Probleme unserer Überflußgesellschaft - mit neuaufkommendem Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, neuer Armut und Umweltzerstörung, um nur einige zu nennen - aufmerksam zu machen und ihnen mit unseren musikalischen Mitteln entgegenzutreten. Deshalb ist es Anspruch und Praxis des Chores, nicht nur eigene Konzertprogramme zu entwickeln, sondern auch bei politischen Veranstaltungen aufzutreten.
Bisher erarbeitete sich der Chor, der seit über 3 Jahren unter der Leitung von Anne Tübinger besteht, zwei Programme. "Es ist alles so wunderbar", Lieder aus fünf Jahrhunderten zu Themen wie soziale Not, Krieg und Frieden, Ordnung und Widerstand, verarbeitete er eher traditionelles und klassisches Liedgut. Das im letzten Jahr entwickelte Programm zu den bundesdeutschen Träumen und Wirklichkeiten der vergangenen vierzig Jahre mit dem Titel "Wir sind wieder wer" stellt dagegen fast durchgängig neue zeitgenössische Chormusik vor.
Aus diesen Programmen werden wir Lieder vorstellen, die anders vom Jagen erzählen, als das die üblichen Jagdgesänge tun: Lieder über die Jagd nach dem Geld, nach Macht und nach Reichtum – auf Kosten anderer.
Anne Tübinger
(Leiterin des Ernst-Bloch-Chores - Tübingen)
Musikalische Leitung: Anne Tübinger
Ort: Ehingen-Mauren, Kirche
Eintritt: DM 10,-/ ermäßigt 5,-
Veranstalter: Musikschule Böblingen im Rahmen des "Böblinger Sommerreigens"
Programm
I. Auf, auf zum frühlichen Jagen
Deutsches Miserere Text: Bertolt Brecht, Musik: Hanns Eisler, Satz: Annegret Keller
Brot für die Welt Text u. Musik: Fortschrott
Ballade von den Säckeschmeißern Text: Hannah Arendt, Musik: Hanns Eisler, Satz: Hartmut Fladt
Der Sucher Text: Kurt Tucholsky, Musik: Manfred Seidl
Dire-gelt Text u. Musik: unbekannt, Satz: Anne Tübinger
Immer mehr Land Text Wolfgang Spielvogel, Melodie: Wolf Brannasky, Bearbeitung: Keller/Scheyhing
Lied von der Erde Text: Jura Soyfer, Musik: Burda, Chorsatz: Annegret Keller
II. Ich bin ein freier Wildbretschütz
Blumen-Kohl Texte: Helmut Kohl, Norbert Blüm, Rhythmisierung: S. Jüdes
Grundrechte II Idee und Bearbeitung: Anne Tübinger
Männer Musik: H.Grönemeyer, Bearbeitung: Black Fööss
Quand mon mari vient de dehors Text: Verfasser unbekannt, Musik: Orlandus Lassus
- Pause -
III. Lauf, Jäger lauf
Schützen wir die Polizei Text u. Musik: Georg Kreisler
Guter Mond Text u. Musik: Schmetterlinge, Chorsatz: Annegret Keller
Lied von der Demokratie Text: Botho Karger, Musik: Anne Tübinger
Grundrechte I Idee und Bearbeitung: Anne Tübinger
Grundrechte III Idee und Bearbeitung: Anne Tübinger
Horch, wer tritt die Türe ein Text u. Musik: Fortschrott
IV. Im Wald und auf der Heide, da such ich meine Freude
Come again Text: Verfasser unbekannt, Musik: John Dowland
Amor vittorioso Text: Verfasser unbekannt, Musik: Giovanni Gastoldi
Tourdion Text u. Musik: Pierre Attaignant
Thou art but young Text u. Musik: John Wilbye
Das kann doch nicht alles gewesen sein Text u. Musik: Wolf Biermann
Programmheft
Jagdszenen-Programmheft.pdf 6,5 MB