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Einmal sollte man...

Text: Mascha Kaléko (1970)
Musik: Anne Tübinger (2008)
aus dem Programm: Im Prinzip Hoffnung

Text

Einmal sollte man seine Siebensachen
Fortrollen aus diesen glatten Geleisen.
Man müsste sich aus dem Staube machen
Und früh am Morgen unbekannt verreisen.
Man sollte nicht mehr pünktlich wie bisher
Um acht Uhr zehn den Omnibus besteigen.
Man müsste sich zu Baum und Gräsern neigen,
Als ob das immer so gewesen wär.
Man sollte sich nie mehr mit Konferenzen,
Prozenten oder Aktenstaub befassen.
Man müsste Konfession und Stand verlassen
Und eines schönen Tags das Leben schwänzen.
Es gibt beinahe überall Natur,
- Man darf sich nur nicht sehr um sie bemühen -
Und soviel Wiesen, die trotz Sonntagstour
Auch werktags unbekümmert weiterblühen.
Man trabt so traurig mit in diesem Trott.
Die anderen aber finden, dass man müsste...
Es ist fast, als stünd' man beim lieben Gott
Allein auf der schwarzen Liste.
Man zog einst ein Lebenslos "zweiter Wahl".
Die Weckeruhr rasselt. Der Plan wird verschoben.
Behutsam verpackt man sein kleines Ideal.
Einmal aber sollte man...

Über Mascha Kaléko

Mascha Kaléko wurde 1907 in Galizien geboren und erlebte das Emigrantenschicksal einer Jüdin von Kindheit an. Sie schrieb vom "Alltag für den Alltag", pointensichere Großstadtlyrik. 1933 erschien ihr erstes Buch "Das lyrische Stenogrammheft" in einer Auflage von 100.000 Stück. 1935 wurden ihre Bücher verboten und verbrannt. Sie emigrierte mit ihrer Familie in die USA. 1975 starb sie in Zürich.