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Ungleichzeiten

Von Zeit, Beschleunigung, Entschleunigung ...

Konzertprogramm 2001 - 2002

Solange natürliche Zyklen, z.B. Tag und Nacht, Sommer und Winter, bestimmender und begrenzender Faktor menschlichen Lebens und Arbeitens waren, wechselten Beschleunigung und Verlangsamung, arbeitsintensive und ruhige Lebensphasen ab.

Die Skala der Sonnenuhr zeigt nur die Stunden des Tages von Sonnenaufgang bis Untergang an. Mit der Erfindung der mechanischen Uhr begann die lineare Zeiteinteilung: es reiht sich in unendlicher Kette Sekunde an Sekunde, Minute an Minute, Stunde an Stunde.

Mit der zunehmenden Entkoppelung von Arbeitszeit und "natürlicher" Zeit, die durch den technischen Fortschritt eröffnet wurde, trat das "Mehr", die Quantität, immer stärker in den Vordergrund.

Die Triebfeder hierzu findet sich in der Konkurrenz der Warenanbieter auf dem Markt, deren Gewinn um so größer wird, je schneller sie eine Ware herstellen und verkaufen können. Durch das Bedürfnis nach "Mehr", das sich nur auf höhere Produktivität, mehr Leistung, schnellere Wege ... beziehen kann, da Zeit nicht zu verdoppeln ist, wird in gleicher Zeiteinheit auf unterschiedlichen Ebenen Beschleunigung erreicht.

Dieser beschleunigende Markt- oder Konkurrenzzwang verändert eben nicht nur die Bedingungen der Arbeit selbst, er führt auch zu einer veränderten Bewertung der Ruhezeit. Die Nicht-Arbeitszeit wird nicht als "Lebens"-zeit betrachtet (arbeiten, um zu leben), sondern als dem "Mehr" der Produktion abträgliche Zeit (leben, um zu arbeiten). Dadurch wird jedes Ausruhen, jede Langsamkeit als gefährlich empfunden und diskriminiert.

Nur wer keine Zeit verliert, verhält sich marktgerecht, und das heißt gesellschaftlich vernünftig. Damit wird Beschleunigung die dominante Zeiterfahrung, die wir in unserer Gesellschaft heute machen.

Ihre Auswirkungen auf uns sind vielfältig:

  • Unser "Sein" in der Zeit ist bestimmt von Unruhe – "wer rastet der rostet" oder verpasst den neuesten Trend oder verliert seine Arbeit ...
  • Der Zwang, immer etwas tun zu müssen, produktiv zu sein, führt dazu, daß zwar kleine "Verschnaufpausen" als angenehm, größere Phasen der Nicht-Arbeit aber als bedrohlich und unangenehm empfunden werden.
  • Nur diejenigen, die keine Zeit haben, gelten als wichtig und kompetent!
  • Während wir ständig Angst haben, Lebenszeit zu verlieren, verschieben wir das "eigentliche" Leben auf später: Urlaub, Rente, Leben nach dem Tod. Dadurch sind wir immer in Anspannung - Entspannung wird entweder gar nicht oder viel zu spät zugelassen.

Immer mehr wird aus dem ursprünglich durch äußere Bedingungen verursachten Beschleunigungsgesetz unser eigenes Lebensgesetz, das längst nicht mehr nur innerhalb der Arbeit, sondern auch im Freizeitbereich unser Verhalten bestimmt.

Diese Mechanismen sind jedoch im Einzelnen nicht unbedingt zwingend, sie können durchbrochen werden! Oft geschieht dies allerdings zunächst unfreiwillig, z.B. durch "nicht mehr können" bis hin zu seelischer oder körperlicher Krankheit oder von außen aufgezwungen durch Arbeitslosigkeit. Diese Situationen werden dann meist als eigene Schuld, Schwäche, Unfähigkeit erlebt. Passiv "entschleunigt" zu werden ist fast immer mit dem Gefühl des Versagens verbunden und damit nur sehr bedingt geeignet, die positiven Aspekte der Langsamkeit zu entdecken.

Aktive Entschleunigung, "die Entdeckung der Langsamkeit", setzt bei der Veränderung des eigenen Lebensgesetzes an und geht in eine Suche nach kollektiven Möglichkeiten der Verlangsamung, des Ausstiegs aus gesellschaftlich wirksamen Zwängen, über.

Interessante Links

Verein zur Verzögerung der Zeit: zeitverein.uni-klu.ac.at/enter.html
Times of our Lives: www.trinity.edu/~mkearl/time.html
(Stand: April 2001)

Titel des Programmheftes

Ausführende

Ernst-Bloch-Chor, Tübingen
Musikalische Leitung: Katja Rambaum
Klavier: Sabine Josz

Wir bedanken uns bei

Achim Braun, Dieter Koller,
Günther Sopper und Anne Tübinger,

die mit Texten, Kompositionen und konstruktiver Mitarbeit viel zum Programm beigetragen haben.

Lieder und Texte

Einige der Texte können Sie durch Anklicken lesen.